Digitalisierung in der Verwaltung: Run the government oder change the government?
31.3.2022

Digitalisierung in der Verwaltung: Run the government oder change the government?

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung steht für einen enormen Transformationsprozess. Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) sollen auch neue Technologien wie Blockchain, Künstliche Intelligenz und Robotic Einzug in den Verwaltungsbetrieb erhalten. Dabei tragen viele Verwaltungseinheiten ein schweres Erbe: Sparmaßnahmen und Kosteneffizienz-Programme in der jüngsten Vergangenheit haben letztlich dazu geführt, dass die Ressourcen für Change-Prozesse nicht oder nicht ausreichend vorhanden sind. Die bisherigen Planungen waren lediglich auf die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs ausgelegt, aber nicht dafür, Freiräume für Innovation zu schaffen – von der Kollaboration mit Startups bzw. der Gründerszene ganz zu schweigen.

Die Stadt Jena hat hier bereits Fakten geschaffen. Grund genug, dass wir darüber mit Manuela Meyer, CDO der Stadt Jena, gesprochen haben.

 

Vertrauenskultur vs. Hierarchie?

Seit Corona hat sich gezeigt, wie wichtig neben der Arbeitsumgebung auch die Prinzipien für die Organisation neuer Arbeitsmodelle sind. „Die Zukunft der öffentlichen Verwaltung fordert nicht einfach nur neue Räumlichkeiten oder eine hippe digitale Arbeitsumgebung. Entscheidend ist die Kultur! Eine Kultur des Vertrauens, die es Mitarbeitenden erlaubt, auch in neuen Arbeitsmodellen ihren Platz zu finden und sicher und zuverlässig arbeiten zu können. Synonym für die Veränderung dieser Grundlogik steht change the government, also die Art und Weise, wie eine Verwaltung künftig für die Bürger Wertschöpfung erbringen kann. Der Modus run the government bezieht sich auf das traditionelle Tagesgeschäft und die Verbesserung der Kernprozesse. „Die traditionellen Strukturen in der Verwaltung sind geprägt von etablierten Hierarchien und Abteilungen. Arbeit wird systematisch und im Voraus geplant und aufgeteilt. Das ist enorm wichtig! Damit eine Verwaltung jedoch schnell auf sich permanent ändernde Bedingungen reagieren kann, sind diese Strukturen natürlich erstmal hinderlich.“ Anfallende Aufgaben und Themen kann man in einem innovativen und herausfordernden Umfeld, wie wir es derzeit erleben – Stichwort Corona-Krise oder Ukrainekrieg – eben nur bedingt im Voraus planen.

 

Erfolgsfaktor Vernetzung

Unterschiedliche Strukturen bedeuten in der Regel auch unterschiedliche Kulturen. Das liegt einerseits an den verschiedenen Geschwindigkeiten, andererseits werden unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten davon angezogen. „Während Abteilungen und Hierarchien ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, stehen agile Arbeitsmodelle stellvertretend für ein selbstbestimmtes Arbeiten. Darin steckt unmittelbar die Gefahr eines fehlenden Zusammenhalts, einer Entfremdung von Verwaltungsbereichen, einer Art Zwei-Klassen-Gesellschaft oder auch des Ressourcenverschleißes aufgrund fehlender Übersicht.“ Diesen Gefahren begegnet Manuela Meyer mit neuen Rollen in der Verwaltung. Der Fokus liegt dabei v.a. darauf, die unterschiedlichen Modi operandi auszugleichen und die Vernetzung in der Verwaltung zu erhöhen. Fördermittel sind für Manuela ein zusätzlicher Beschleuniger dieser Tendenzen: Da die Verwaltung kein kommerzielles Interesse verfolgt, lässt sich Wissen und Erfahrung auch mit anderen Verwaltungen problemlos teilen.

 

Erfolgsfaktor Wissen

Damit change the government gelingen kann, sieht Manuela v.a. die Führung in der Pflicht. Das beginnt schon bei der Stellenbesetzung: „Viele Verwaltungen können nicht die Bewerber einstellen, die am besten geeignet sind, sondern die Ausschreibungskriterien am besten erfüllen.“ Dieser vermeintliche Formalismus zieht sich konsequent fort. „Das interne Wissen von Mitarbeitenden ist enorm wichtig für eine Verwaltung. Dieses Wissen muss man anerkennen und letztlich auch entsprechend vergüten, damit die guten Leute bleiben.“ Manuela Meyer ist es vor allem wichtig, Ideen aufzugreifen, zu entwickeln und Menschen dadurch zu begeistern. „Dafür muss vor allem ein Wissenstransfer stattfinden. Dieser Wissenstransfer ist notwendig, da in der Verwaltung Wissen in einer Vielzahl an Akten, in Dateien und vor allem natürlich in den Fähigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeiter existiert.“ Technik bzw. Software spielt für Manuela zunächst eine untergeordnete Rolle. „Software wirkt hier wie ein Katalysator: Sie macht gute Prozesse besser, und schlechte Prozesse schlechter. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit kann sie leider nicht beantworten.“

 

Die konsequente Ausrichtung auf den Bürgerwillen

Was in der freien Wirtschaft kritisch als drohende Disruption etablierter Geschäftsmodelle betrachtet wird, das ist in der Verwaltung offenbar problemlos möglich. Manuela Meyer sieht die öffentliche Verwaltung hier sogar im Vorteil gegenüber der freien Wirtschaft. „Mehrwerte für andere zu schaffen ist in einer Stadt gerade deshalb möglich, weil wir keine Agentur sind und keiner Gewinnerzielungsabsicht unterliegen. Wir können uns konsequent auf den Nutzen der Bürger ausrichten.“ Natürlich könnte man jetzt alte Kamellen bedienen und erneut auf die Ausgaben der Verwaltung schimpfen. Manuela schlägt hier einen Perspektivwechsel vor: „Die Verwaltung gibt Geld für die Bürger aus. Auf beiden Seiten, in der Verwaltung und beim Bürger, sind Gestaltungswille und der Mut sich einzubringen herausgefordert.“  

Mit der Möglichkeit zur digitalen Bürgerbeteiligung schafft die Stadt Jena hier auch eine weitere Voraussetzung, damit sich alle Bürger im bevorzugten Rahmen einbringen können. „Nicht jeder hat Zeit auf eine Bürgerversammlung ins Rathaus zu gehen. Dann kann er bequem den digitalen Kanal wählen und seine Ideen und Vorschläge einbringen.“

Für andere Verwaltungen empfiehlt Manuela einen einfachen Dreiklang: Vernetzen, vernetzen, vernetzen.

 

Steckbrief:

Manuela Meyer studierte Medienwissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Sie kennt beide Welten und war sowohl für ein Startup im Bereich Internetsicherheit im Einsatz, als auch an der TU Berlin und der Friedrich-Schiller-Universität Jena als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Außerdem führte sie als Projektleiterin in der Softwareentwicklung die E-Akte in verschiedenen Institutionen ein. Seit November 2020 ist sie Chief Digital Officer (CDO) der Stadt Jena und Gesamtprojektleiterin des Smart City Projektes.

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